Kanzler und Kanzleien im Spätmittelalter: Eine "Histoire croisée" fürstlicher Administration im Südwesten des Reiches
Schlagworte:
Kanzlei Pfalzgraf Hochstift Speyer Friedrich I., Pfalz, Pfalzgraf bei Rhein Ruprecht, Heiliges Römisches Reich, KönigÜber dieses Buch
Spätmittelalterliche Kanzleien stellte sich die ältere Forschung gerne so vor, wie Behörden, die sie aus ihrer eigenen Zeit kannte – Rück projektionen der Zustände aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Am Beispiel der Kurpfalz, mit vergleichenden Blicken auf Kurmainz, Kurtrier, das Bistum Speyer und weitere Herrschaften widerlegt Ellen Widder diese älteren Ansichten und zeigt, dass spätmittelalterliche Kanzleien in Deutschland eben keine institutionalisierten, fest gefügten, hierarchisch strukturierten und ortsfesten Behörden waren. Mit ihrem multiperspektivischen Ansatz der Histoire croisée, der Verflechtungsgeschichte, weist sie nach, dass man sich vielmehr über lange Zeit hinweg der vor Ort verfügbaren öffentlichen Notare bediente, um die Kanzleiaufgaben erledigen zu lassen. Erst nach und nach wurden hierfür universitär ausgebildete Juristen angestellt und erst allmählich verstetigte sich das Personal und verfestigte sich der Ort der Kanzlei. Starke Impulse für eine Entwicklung des Kanzleiwesens in der Pfalzgrafschaft waren der Aufstieg der Pfalzgrafen zur Kurwürde (1356), das Königtum Ruprechts (1400–1410) und die Herrschaft Friedrichs des Siegreichen (1451–1476), allesamt verbunden mit einem erhöhten Bedürfnis an Repräsentation und Legitimation, das auf die Strukturen der Kanzlei zurückwirkte.